Eine Drehmaschine wie keine andere
Eine speziell angefertigte Drehmaschine, der Partikelbeschleuniger Petra III und die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der schwedischen Universität Linköping bilden das Erfolgsrezept. Als erstes Unternehmen weltweit konnte Seco Echtzeitstudien auf atomarer Ebene durchführen, um das Verhalten von Werkstoffen während der spanenden Bearbeitung zu messen.DIE MÖGLICHKEIT, DIE VERÄNDERUNGEN IM SCHNEIDBEREICH EINER WENDEPLATTE BEI DER ZERSPANUNG BEOBACHTEN ZU KÖNNEN, IST SEIT ÜBER ZEHN JAHREN DAS GROSSE ZIEL VON INDUSTRIE UND WISSENSCHAFT.
Die größte Herausforderung war wahrscheinlich der Bau einer Zerspanungsmaschine, die für den Einsatz im Partikelbeschleuniger Petra III geeignet ist. Dieser Ringbeschleuniger wird im Hamburger Forschungszentrum DESY zu Testzwecken genutzt. Die benötigte Drehmaschine muss ausreichend klein und leicht sein, um im Beschleuniger normale Drehprozesse durchführen zu können, sollte dabei aber auch stabil, steif und wärmeresistent sein.
Die im Petra III erzeugten energiereichen Röntgenstrahlen sind dünner als ein Haar, können das durchdrungene Objekt allerdings beeinflussen. Damit der präzise ausgerichtete Strahl genaue Messwerte ermitteln kann, muss das Objekt stabil bleiben. Bislang ist es nur einer Person gelungen, eine Maschine zu bauen, die alle Anforderungen an ein derartiges Experiment erfüllt. Diese Person ist Janne Eriksson von Seco in Fagersta.
Eriksson stammt aus der bodenständigen Region Dalarna mitten in Schweden. Er ist von Haus aus Techniker, interessiert sich aber auch für Elektronik – beste Voraussetzungen also für die Lösung eines so komplexen Bauvorhabens. Viele andere vor ihm haben sich vergeblich daran versucht. Eriksson ist der richtige Mann für diese Aufgabe, aber selbst er hatte schlaflose Nächte, als der Fristablauf des Projekts immer näher kam. Die entscheidende Idee für die Konstruktion des Tragrahmens – dem Herzstück der Drehmaschine – entsprang einer unerwarteten Quelle.
„Ich habe mich mit Fachtexten zum Thema informiert, darüber nachgedacht, noch mehr über nachhaltige Bauweisen gelesen und dann überlegt, ob ich mich vielleicht verrannt hätte. Eines Tages saß ich in der Werkstatt und ließ die Gedanken schweifen. Mein Blick fiel auf den Feuerlöschhydranten und plötzlich wurde mir klar: Er ruht auf einem H-Träger, der das gesamte Dach trägt. In dem Moment hatte ich die Idee, aus der ich den Tragrahmen entwickelte. “
Mit der Hilfe seiner Kollegen im Seco Tools-Technikzentrum in Fagersta setzte Eriksson sein Konzept in die Praxis um. Nach Abschluss der Testläufe ergaben sich weitere Schwierigkeiten, als die Drehmaschine vor Ort auf einem der Träger des Partikelbeschleunigers montiert wurde. Beispielsweise musste sie umgebaut und an die neue Umgebung angepasst werden. In dieser Phase war Eriksson vom Erfolg des Projekts noch nicht überzeugt.
„Ich dachte: ‚Die Maschine ist jetzt im Beschleuniger, dreht einen 30 Kilogramm schweren Metallklumpen und läuft komplett vibrationsfrei‘“, berichtet Eriksson. „‚Aber wie lange hält das an? Ein paar Minuten?‘. Doch irgendwann hatte ich keine Zweifel mehr, mittlerweile läuft die Maschine mehrere Tage am Stück. Im vergangenen Jahr waren wir beim Petra III und haben die Drehmaschine bei jedem Test montiert und wieder zerlegt. Trotzdem arbeitet sie jedes Mal einwandfrei.“
Die Drehmaschine wurde im Zuge des Projekts X-Cut entwickelt, einem Zusammenschluss des deutschen Forschungsinstituts HZG Geesthacht mit Seco Tools und der Universität Linköping. Secos Kooperationsleiter ist Mats Johansson Jõesaar, ein F&E-Experte aus der Seco Abteilung Werkstoff- und Technologieentwicklung.
Als Forscher und Seco Mitarbeiter ist Johansson Jõesaar sehr stolz auf den Erfolg der einzigartigen Drehmaschine und die Möglichkeit, die Reaktion der Werkstoffe auf den Zerspanungsprozess studieren zu können. Zwar ist schon viel über diesen Prozess bekannt, aber das neue Messverfahren auf atomarer Ebene hat eine große Bedeutung für die Entwicklung von Beschichtungen und Werkstoffen.
„Je mehr wir über die Beeinflussung des Werkstoffes erfahren, desto mehr Möglichkeiten ergeben sich bei der kundenspezifischen Komposition von Werkstoff- und Werkzeugeigenschaften. Ich spreche hier von längeren Werkzeugstandzeiten und geringerem Produktverschleiß“, erklärt Johansson Jõesaar. „Mit dem erweiterten Wissen kann Seco effizientere Produkte mit besserer Reproduzierbarkeit entwickeln. Die Kenntnisse, die wir auf atomarer Ebene über das Werkstoffverhalten im Zerspanungsprozess gewinnen, bilden die Grundlage für die nächste Werkstoff- und Produktgeneration. Seco ist das weltweit erste Unternehmen in der Metallbearbeitung, das in diesem Bereich forscht. Das verschafft uns einen großen Vorsprung vor der Konkurrenz.“